von Prof. Dr. Walter Werbeck
Die Intensität, mit der sich Richard Strauss in das nationalsozialistische Regime und dessen Politik verstrickte, ist von seinen Bewunderern lange Zeit ignoriert worden. Eher gegen seinen Willen, so die vorherrschende Meinung, sei der Komponist, ein dezidiert unpolitischer Künstler, zur Übernahme des Präsidentenamtes der Reichsmusikkammer gedrängt worden. Diese Ansicht ist inzwischen unhaltbar geworden. Aber ebenso unhaltbar ist die Behauptung, Strauss sei ein Nationalsozialist gewesen, der die politischen Ziele von Partei und Staat geteilt, ja der mit seiner bewusst die atonale Moderne meidenden Musik der Kunstpolitik des NS-Regimes und ihrer rigorosen Verdrängung jeglicher Avantgarde nachgerade gezielt den Boden bereitet habe.
Zunächst: Auch wenn Strauss selbst sich gerne als unpolitisch bezeichnete – wie es zahlreiche Künstler seiner Generation taten (erinnert sei nur an Thomas Manns großen Essay „Betrachtungen eines Unpolitischen“) –, so darf man ihn gleichwohl als einen über weite Strecken seines Lebens recht aktiven politischen Künstler bezeichnen. Freilich engagierte er sich nicht für eine der politischen Parteien seiner Zeit, er kandidierte nicht für parlamentarische Ämter und es ist auch nicht bekannt, ob und mit welchen Präferenzen er bei Wahlen seine Stimme abgab. Was ihn einzig interessierte, war Kulturpolitik. Strauss engagierte sich schon im Kaiserreich für die Erhaltung des kulturellen Niveaus ebenso wie für die Hebung der Lebensbedingungen der Kulturschaffenden. Das begann zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der von ihm und den Freunden Hans Sommer und Friedrich Rösch betriebenen Gründung der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer mit angeschlossener Anstalt zur Einziehung und Ausschüttung von Tantiemen, und das setzte sich fort in den Jahren der Republik nach dem Ersten Weltkrieg, als Strauss gezielten Einfluss auf die Besetzung von Dirigentenposten ebenso wie die Gestaltung von Spielplänen zu nehmen suchte, wenn es darum ging, Werke der deutschen Klassiker ebenso wie diejenigen Richard Wagners, aber auch seine eigenen Tondichtungen wie Opern regelmäßig zu spielen.
Natürlich lag Strauss daran, Konzerthäuser und Operntheater, die im Reich in weltweit einmaliger Vielfalt existierten, zu erhalten, hingen doch seine eigenen Einkünfte davon ab, möglichst häufig gespielt zu werden. Auch deshalb war er, wie viele seiner Künstlerkollegen, ein Anhänger des monarchistischen Systems, der Demokratie und allgemeines Wahlrecht als Symptome für die Herrschaft des Mittelmaßes verachtete. Und natürlich teilte Strauss die verbreitete Überzeugung, Deutschland sei das Land der Musik; die deutsche Musik, von Johann Sebastian Bach bis zu den Höhepunkten der Klassiker und Wagner, habe im Reich der Tonkunst gewissermaßen die Weltherrschaft inne.
Anders als Thomas Mann gab es für Strauss auch nach dem Zusammenbruch der alten Ordnungen am Ende des Ersten Weltkriegs keinen Anlass, seine Meinung über die Demokratie als Form politischer Herrschaft zu revidieren. Im Gegenteil, die chaotischen Zustände am Kriegsende und in den folgenden Jahren, mit Bürgerkrieg und Inflation, bestärkten eher seine Verachtung der neuen Zeit. Er sah hier, wie er dem Publizisten Alfred Kerr im Juni 1920 schrieb, nur eine einzige politische Operette am Werk: „Nationalversammlung, Kriegsgesellschaften, Parteipolitik während das Volk verhungert, Zuhälter als Kultusminister, Einbrecher als Kriegsminister, Mörder als Justizminister“. Angesichts solcher Äußerungen darf man vermuten, dass Strauss politisch deutlich rechts zu verorten war, dort also, wo die kaisertreuen Nationalisten den Ton angaben, die der Dolchstoßlegende anhingen und die „Novemberverbrecher“ als Vaterlandsverräter brandmarkten. Zu einer derart verankerten politischen Opposition gesellte sich Strauss‘ Widerstand gegen die musikalische Avantgarde, der er zwar nach außen hin keine Steine in den Weg legte (was er als Ehrenvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Musikvereins durchaus hätte tun können), die er aber durch demonstrative Distanz als verfehlt kritisierte. In privaten, brieflichen Äußerungen scheute er nicht davor zurück, Arnold Schönberg und seine Schüler und Weggefährten als „atonale Bolschewiken“ zu schmähen.
Als am Ende der 1920er Jahre die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf den Kulturbetrieb in Deutschland durchschlugen, nahmen Strauss‘ Aversionen gegen die ungeliebte Republik noch zu. „Gott gebe“, so schrieb er beispielsweise Ende November 1930, „daß bald bessere Zeiten für die deutschen Theater anbrechen und deren Subventionen nicht mehr für faulenzende Kommunisten (genannt Arbeitslose) verwendet werden müssen. Es ist eine Kulturschande!“ Solche nachgerade zynischen Äußerungen verraten, wie gleichgültig Strauss das anwachsende Arbeitslosenheer war, und wie sehr ihn einzig die Fortdauer des Musikbetriebs interessierte. Eine in dieser Lage unter den rechtskonservativen Musikern verbreitete Hoffnung brachte der Musikkritiker Paul Schwers auf den Punkt, als er im Oktober 1931 in einem Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel „Musiknot und Kulturzerstörung“ die Klage formulierte: „Schade, daß von Reichs wegen nicht ein Kulturdiktator bestellt werden kann, der in dieser Notzeit allenthalben vernünftigen Ausgleich und damit künstlerisches Niveau zu schaffen hätte. Aber vielleicht kommt es noch dazu“.
Die Voraussetzungen für einen solchen „Kulturdiktator“ schuf erst die „Machtergreifung“ durch Hitler und die NSDAP Ende Januar 1933. Fraglos begrüßte Strauss mit seiner Familie einen bekennenden Wagnerverehrer und „Künstler“ als neuen Reichskanzler, und auch die rasche Behebung der politischen Zersplitterung durch Gleichschaltung und Zwangsvereinigung der Kulturinstitutionen dürfte seine volle Zustimmung gefunden haben: Endlich sollte es mit dem unproduktiven Neben- und Gegeneinander der diversen musikalischen Standesorganisationen ein Ende haben, würde die musikalische Vormachtstellung Deutschlands wieder die ihr gebührende kulturpolitische Anerkennung finden. Und nun, wo die politischen Verhältnisse scheinbar seinen Wünschen entgegenkamen, trachtete Strauss danach, sich als bedeutendster lebender deutscher Komponist auch wieder in die Kulturpolitik einzumischen, um seinen Vorstellungen von der Pflege der ernsten Musik im neuen Reich angemessenes Gehör zu verschaffen. Die ersten Begegnungen mit den Spitzen der neuen Regierung im März 1933 in Berlin vermittelten ihm „große Eindrücke [...] und gute Hoffnung für die Zukunft der deutschen Kunst“, und man darf vermuten, dass er in den folgenden Monaten dahingehend wirkte, an prominenter Stelle die Pläne der neuen Machthaber für eine grundlegende Neuorganisation des Musiklebens zur Verwirklichung eigener Vorstellungen von Kultur und Musik in Deutschland nutzen zu können.
Richard Strauss dirigierte bei der Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin.
Richard Strauss bei der Probe für die Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin.
Um seine Ziele zu erreichen, taktierte Strauss – mit Konsequenzen, die seinen Ruf bei den Gegnern des Regimes schon früh irreparabel schädigten: Er unternahm nichts dagegen, als Anfang März in Dresden der Dirigent Fritz Busch und der Generalintendant Alfred Reucker aus ihren Ämtern gejagt wurden – obwohl er beiden die Uraufführung der ihnen gewidmeten Oper Arabella versprochen hatte. Er unternahm nichts gegen die Amtsenthebung der Leipziger Generalmusikdirektors Gustav Brecher, der zu seinen frühesten und treusten Parteigängern zählte, er sprang in Berlin für den verjagten Dirigenten Bruno Walter ebenso ein wie in Bayreuth für Toscanini, der seine Teilnahme an den Festspielen abgesagt hatte, und er gehörte zu den Mitunterzeichnern des öffentlichen „Protestes der Richard-Wagner-Stadt München“ gegen Thomas Mann, der das Exil des Schriftstellers zur Folge hatte. Während der Bayreuther Festspiele traf sich Strauss erneut mit Hitler sowie erstmals auch mit dem für die Kultur zuständigen Minister Joseph Goebbels; hier dürfte er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst als möglichen Führer der deutschen Musik ins Gespräch gebracht haben. Im November des Jahres hatte er mit der Berufung als Präsident der neu eingerichteten Reichsmusikkammer (RMK) dieses Ziel erreicht.
Die Monate an der Spitze der RMK (November 1933 bis Anfang Juli 1935) markieren eine erste Phase in den Beziehungen zwischen Strauss und dem NS-Regime. Sie war zunächst auf beiden Seiten von großer Hochstimmung getragen, zugleich allerdings von einer im Nachhinein schwer verständlichen Naivität grundiert. Strauss, der seinen Rang erheblich überschätzte, glaubte, Gutes für die deutschen ernsten Komponisten und ganz allgemein für die kulturelle Erneuerung tun zu können, während Goebbels und mit ihm die Partei- und Staatsführung ebenso irrigerweise annahm, Strauss ließe sich für ihre macht- bzw. rassepolitischen Ziele und damit für eine totale ideologische Vereinnahmung von Kultur und Musik einspannen. Natürlich erreichten beide Seiten ihre Ziele nicht. Strauss, der in der Regel von Garmisch aus agierte und sich wenig um die Details vor Ort kümmerte, konnte lediglich die Modifizierung des Urheberrechts Ende 1935 mit einer Verlängerung der Schutzfrist von 30 auf 50 Jahre als Erfolg seiner Arbeit verbuchen. Und die Parteigenossen nahmen verärgert zur Kenntnis, dass der Präsident der RMK eigenmächtig handelte und spezifisch ideologische Maßnahmen, etwa gegen jüdische Künstler, zwar nicht verhinderte, aber auch nicht vorantrieb. Wie auch immer: Strauss diente sich den Machthabern an – zwar nicht so aktiv, wie gelegentlich behauptet wurde, aber doch intensiv genug, um sich bei den Verfolgten des Regimes, denjenigen zumal, die als jüdische Künstler ihre Existenzgrundlage verloren und das Land verlassen mussten, weiter zu diskreditieren.
Schon im Frühsommer 1934 konnte Strauss bemerken, dass mit den neuen Herren nicht zu spaßen war: Wie anderen Künstlern wurde ihm aus politischen Gründen die Teilnahme an den Salzburger Festspielen verboten. Außerdem wuchsen die Schwierigkeiten mit seinem Librettisten Stefan Zweig, der, als jüdischer Schriftsteller im Reich verfemt, sich aus der Zusammenarbeit mit Strauss zurückzog und dessen Konfession zugleich die Uraufführung der gemeinsamen Oper „Die Schweigsame Frau“ aufs Höchste gefährdete. Erst spät scheint Strauss realisiert zu haben, was hier auf dem Spiel stand. Zwar kam es Ende Juni 1935 zur Dresdner Premiere der Oper, aber schon zuvor war Strauss das Dirigieren bei den Bayreuther Festspielen des Jahres untersagt worden. Die „Schweigsame Frau“ wurde nach wenigen Vorstellungen verboten, und als die Gestapo einen Verzweiflungsbrief des Komponisten an Zweig abgefangen hatte, in dem es unter anderem hieß, er „mime“ lediglich den Präsidenten der RMK und betrachte den Job als „ärgerreiches Ehrenamt“, war Strauss‘ Rücktritt Anfang Juli 1935 unvermeidlich.
Aus der schwierigen persönlichen Situation und einer tiefen Depression konnte er sich erst langsam und nicht zuletzt durch die kompositorische Arbeit wieder befreien. Gänzlich distanzieren vom Regime wollte er sich nicht. Auch an eine Emigration hat Strauss nie ernsthaft gedacht, seine Wurzeln im deutschen Kultur- und Musikleben zu durchtrennen wäre ihm nicht eingefallen; zudem wurde er ja weiterhin viel gespielt. Im übrigen präsidierte er seit Juni 1934 dem mit aktiver Unterstützung des Regimes gegründeten „Ständigen Rat für die Internationale Zusammenarbeit der Komponisten“, einem Zusammenschluss europäischer Kollegen, die wie er die Avantgarde mieden. Und schließlich hatte er ganz private Gründe, sich die NS-Funktionäre nicht zu Feinden zu machen: Seine jüdische Schwiegertochter Alice galt seit September 1935 durch die Nürnberger Rassegesetze als Volljüdin, ihre Söhne, Strauss‘ Enkel, als Mischlinge 1. Grades. So betrieb Strauss seit Sommer 1937 seine Versöhnung mit den Machthabern – demonstrativ Ende Mai 1938, als er bei den Reichsmusiktagen in Düsseldorf, wo die Ausstellung „Entartete Musik“ eröffnet wurde, u. a. seine Oper „Arabella“ aufführte.
Richard Strauss’ Schwiegertochter Alice war Jüdin, seine beiden Enkelsöhne nach den Nürnberger Rassengesetzen Halbjuden. Somit war auch die Familie seines Sohnes in Gefahr.
Die äußerliche Versöhnung steht für die zweite Phase in Strauss‘ Beziehungen zum NS-Staat. Nun ging es nicht mehr um kunstpolitische Arbeit, nun zählten in erster Linie die eigene Familie und das eigene Werk. Strauss arbeitete rastlos; nach dem Rücktritt wurden bis Ende 1941 nicht weniger als vier Opern vollendet. Und zur Sicherung seiner Familie agierte er, als sich die Lage im Krieg zuspitzte, entweder persönlich – so bei seinem Versuch im Sommer 1942, jüdische Verwandte seiner Schwiegertochter aus dem Konzentrationslager Theresienstadt zu retten –, oder er spannte hochrangige NS-Funktionäre ein: den Wiener Gauleiter Baldur von Schirach etwa oder den Generalgouverneur im besetzten Polen, Hans Frank, der Ende 1943 die Beschlagnahme von Räumen in der Garmischer Villa vor Einquartierungen Ausgebombter weitgehend verhindern konnte und von Strauss zum Dank mit einem Kanon bedacht wurde. Die Machthaber versuchten zwar, Strauss zu isolieren, aber sie verboten seine Musik nicht. Ohnmächtig erlebte er die Schließung der deutschen Theater am 1. September 1944 und die Zerstörung der für ihn so wichtigen Opernhäuser in München (Oktober 1943), Dresden (Februar 1945) und Wien (März 1945): Mit dem Zusammenbruch Deutschlands, so seine Überzeugung, war nicht nur sein künstlerisches Wirken, sondern jegliches Kulturleben beendet.
Richard Strauss mit Baldur von Schirach, Gauleiter und Reichsstatthalter der Nationalsozialisten in Wien, und dem Schriftsteller Gerhard Hauptmann (v.l.n.r.).
Prof. Dr. Walter Werbeck
Walter Werbeck, 1952 in Bochum geboren, hat Musikwissenschaften am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn studiert. Seit dem Sommersemester 1999 ist er Professor für Musikwissenschaft und hat seitdem zahlreiche Arbeiten u. a. über Richard Strauss und sein Werk verfasst. Er zählt zu den fundiertesten und renommiertesten Musikwissenschaftlern und Autoren. Sein letztes Buch, das er zum 150. Geburtstages des Komponisten herausgegeben hat, ist das "Richard Strauss Handbuch" . Dicht und differenziert lässt er auch die schwierigen Seiten der Persönlichkeit von Richard Strauss zur Geltung kommen. Diesen Artikel hat er auf Anfrage der Familie extra für die Website geschrieben, um Richard Strauss Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus objektiv und umfassend zu beleuchten.