Alltag im Hause Strauss

Die Musik steht im Zentrum seines Lebens. Doch wie lebt Richard Strauss, der Privatmann? Wie bewältigt der Künstler seinen Alltag, woraus schöpft er Kraft und wie entspannt er sich?

Ferien und Reisen

Wenngleich Richard Strauss ein durchaus reiselustiger Mensch ist, so liegt ihm weniger an der klassischen Sommerfrische. Für ihn sind Reisen, wenn schon nicht berufliche Pflicht wie bei seinen vielen Tourneen, zumindest Quelle künstlerischer Inspiration. Und dafür nimmt er so einige Strapazen auf sich.
1886 reist der 22-Jährige zum ersten Mal nach Italien. Dies ist wohlgemerkt kein "Urlaub", sondern eine Bildungsfahrt in der alten Tradition der "Italienischen Reisen". Der nächste längere Auslandsaufenthalt dient der Erholung von einer lebensgefährlichen Lungenkrankheit: 1892/93 fährt Strauss nach Italien, Griechenland und Ägypten, von wo er abermals tiefe Eindrücke – und seine halbfertige Erstlingsoper "Guntram" mitbringt.
 
Bald wird Reisen zur Berufspflicht. Konzerttourneen führen den Kapellmeister (u. a. mit eigenen Werken) durch ganz Europa, bis nach Nord- und Südamerika. Stets ist er bemüht, die freie Zeit bei Auslandsgastspielen durch Museumsbesuche zu nutzen.
 

Schon 1907 ein Automobilist

Als 1897 der Sohn Franz auf die Welt kommt, befindet sich Richard in Stuttgart. Den sogenannten "Sommerfrischen" mit der Familie (etwa nach Westerlandt / Sylt) gibt sich Strauss nie ausgedehnt hin. Große Freude hat er jedoch an Fahrten mit dem damals neumodischen Automobil. 1907 erwirbt er zum ersten Male einen eigenen Wagen, fährt 1913 damit nach Italien, macht später (geführt von dem treuen Chauffeur Martin) Reisen in die Dolomiten und – abermals zu Bildungszwecken – nach Mittelitalien.
 
Griechenland gehört seine große Verehrung – noch in seiner letzten schriftlichen Notiz, im Juli 1949, wird sich Richard Strauss als "griechischer Germane" bezeichnen. 1926 erneuert er auf einer Reise in die Heimat der antiken Kultur seine Eindrücke, die er 1892 gesammelt hat. Die späteren Opern "Ägyptische Helena", "Daphne" und "Danae" werden aus diesem Geist der Klassik geschaffen.
 

Strapaziöse Reiseerlebnisse

Reisen ist im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stets eine spannende, selten eine komfortable Sache. Hier ein paar Eindrücke des Weltenbummlers Richard Strauss:
"Zum Concert nach Brooklyn mit elektrischem Automobil (40 Mark) durch das wilde, miserabel gepflasterte New York über die großartige Hudson-Brücke …" (1904).

"Ist das eine Schinderei! Ich beklage mich nicht leicht, aber 8 Stunden von Berlin bis Bielefeld im ungeheizten Zug – das ging auch mir fast zu Herzen. Kein Speisewagen, nichts Warmes zu essen, zu trinken …" (1917, mitten im Weltkrieg).
 
Pauline und Richard 1911 in St. Moritz

 
Oder, von einem Zwischenstopp auf der Schiffsreise nach Südamerika, 1920: "Volle 21 Stunden lagen wir da – eine greuliche Zeit. Zu beiden Seiten des Schiffes 4 Riesenboote mit Kohlen, deren höchst lärmendes Einladen einen solchen Staub und Dreck verursachte, daß das Vordeck fest mit Leinwand abgesperrt, alle Türen und Fenster dicht verschlossen bleiben mußten."

Sport und Spiel

Die freie Natur hat es Strauss angetan: Es zieht ihn immer wieder ins Hochgebirge zu ausgedehnten Wanderungen. Er begleitet seine Pauline beim Eislaufen und geht zur Freunde seiner Enkel gern Rodeln. Bewegung ist für den Komponisten jedoch auch immer Inspiration: So ist beispielsweise in „Intermezzo“ eine Rodelszene verewigt. Richtig abschalten kann Strauss nur beim Skat.
Von sportlicher Betätigung im heutigen Sinne hält Strauss wenig. Schifahren sei, so lässt er die Enkel schriftlich wissen, "eine Beschäftigung für norwegische Landbriefträger". Viel eher erfreut sich der Komponist an der Seite seiner Pauline des Eislaufens, oder er rodelt (woran die beiden Enkel größte Freude haben).
 
In seiner Kunst stets auch den kleinen Details des Lebens nahe, verewigt Strauss in seiner autobiographischen Oper "Intermezzo" Pauline in einer Rodelszene. In seiner Jugend ist Strauss gerne geritten, ein Sport, den er in mittleren Jahren wieder aufgibt.
 

„Automobil“-Sport nach Malheur nur noch passiv

Seit frühester Jugend hält er sich gerne in der freien Natur auf. Ausgedehnte Bergwanderungen entspannen und inspirieren ihn. Klingendes Ergebnis seiner Leidenschaft für Hochtouren ist "Eine Alpensinfonie". Noch in vorgerückten Jahren geht er in Garmisch täglich zweimal spazieren (auf diese Ertüchtigung legte auch Pauline großen Wert). Seinen Schaffensrhythmus vergleicht er mit dem Zyklus der Natur: Im Frühjahr und Sommer "erblühen" auch seine Kompositionen, im Herbst und Winter ist eher die Zeit fürs Dirigieren.
 
Vom Automobil-"Sport", dem sich Richard Strauss nach einem kleinen Missgeschick als Chauffeur nur mehr als passiver Mitfahrer widmet, ist unter dem Punkt "Ferien und Reisen" die Rede.
 

Echtes Abschalten nur beim Skat

Seine größte Leidenschaft gilt – nach Musik und Familie – dem Skat (vom Italienischen "scarto" = "Weggelegtes"). Strauss lernt das Kartenspiel 1890 in Weimar und widmet sich ihm fortan bei jeder Gelegenheit. Er wird als brillanter, phantasievoller und sehr risikofreudiger Spieler beschrieben. Die Motivation für diesen "Ausgleichssport" hat er u. a. Karl Böhm gegenüber begründet: "Die Leute greifen mich an, weil ich so gerne Skat spiele. Böhm, ich versichere Ihnen, das ist der einzige Moment in meinem Leben, wo ich nicht arbeite. Sonst geht das oben bei mir immer weiter."
In den Bergen findet Richard Inspiration.
Pauline ist mit der Spielleidenschaft ihres Mannes nicht einverstanden. In mehr als einem Brief macht sie ihm Vorhaltungen und nennt die Gesellschaft, in der er sich darum manchmal bewegt "Lumpen-Skat-Brüder". Freilich empfängt Strauss im "Skat-Eck" seiner Garmischer Villa, in Wien sowie auf Reisen auch Persönlichkeiten wie die Sänger Hans Hotter, Franz Klarwein oder den Industriellen Manfred Mautner-Markhof zum Kartenspiel. Auch dem Skat ist in "Intermezzo" ein tönendes Denkmal gesetzt.
Einblick ins private Familienalbum

Essen und Gesundheit

Trotz zweier schwerer Erkrankungen hat Strauss stets nur die Kunst im Kopf, zum Gesundheitsbewusstsein drängt ihn erst Pauline. Sie achtet auf regelmäßige Mahlzeiten, tägliche Spaziergänge und ein Nachmittagsschläfchen. Doch das Rauchen kann sie dem Komponisten auch nicht abgewöhnen.
Zweimal – 1892 und 1907 – hat Strauss ernste gesundheitliche Zusammenbrüche. Beim 26-Jährigen ist es eine schlecht ausgeheilte Lungenentzündung, beim 42-Jährigen eine Herzmuskelschwäche – der Grund liegt stets in Überarbeitung.
 
Der Vater redet ihm oft genug ins Gewissen: "Wir sind ganz unglücklich zu sehen, wie Du auf Deine Gesundheit losstürmst, um Dir so viel Vermögen zu erwerben, dass Du später für Dich leben kannst, nur um zu komponieren. Glaubst Du, dass man mit einem siechen Körper noch etwas Geistiges schaffen kann?" Der Sohn wehrt ab: "Von vieler Arbeit ist noch nie ein Mensch krank geworden, wenn er sonst solid und vernünftig gelebt hat und das tue ich ja."
 

Rauchen als Laster bis ins hohe Alter

Wirkliche Rücksicht auf seine Gesundheit gewöhnt ihm erst die Gefährtin Pauline an, wiewohl sie die nächtlichen nikotinschwangeren Skatpartien auch nicht verhindern kann. Sie ist sich der Anfälligkeit seiner Lungen bewusst und besteht auf zwei tägliche Spaziergänge, auch um die ungesunde Wirkung des Rauchens (Strauss entsagt diesem Laster erst 75-jährig – und hat prompt wochenlang eine "Saulaune") auszugleichen.
 
Eine Stunde vor dem Mittag- und Abendessen holt sie ihren Mann von der Arbeit an die frische Luft. Auch die Einhaltung einer kurzen Nachmittagsruhe überwacht sie, wie aus einem Brief Gustav Mahlers an Alma hervorgeht: "Gestern Nachmittag war ich bei Strauss. Sie empfing mich bei der Thüre mit: Pst! Pst! Richard schläft …"
 

Vorliebe für Hausmannskost - gern auch mit Fettrand

Richard Strauss isst nicht viel, aber mit Freude. Langwierige Bankette sind ihm verhasst ("Ich verhungere bei ‚Lunch‘ und ‚Diner‘"), doch er weiß feine Speisen durchaus zu schätzen. Vor allem aber liebt er Hausmannskost. Für Pauline und die treue Haushälterin Anni notiert er penibel Rezepte, die ihm zusagen oder Empfehlungen, was einzukaufen und zuzubereiten ist.
 
Lieblingsspeisen sind Rindfleisch mit "G’schlader" (Fettrand), Steinpilze mit Knödeln, Nieren und Nierenbraten. Zu seinen "süßen Leidenschaften" gehören Annis Vanilleplätzchen, Punschtorte und Hagebuttenmark (das als wohl einzige Marmelade zu Opernehren kommt – wieder in "Intermezzo").
Richard geht täglich zwei Mal spazieren – bei jedem Wetter.
Pauline ist eine passionierte Köchin, die ein handgeschriebenes Kochbuch mit Rezepten aus aller Herren Länder hinterlassen hat. Ebenso gerne geht sie in noble Restaurants oder lässt sich zu besonderen Anlässen von diesen zu Hause beliefern.

Gesellschaft

Der künstlerische Erfolg erlaubt den Eheleuten Strauss, ein großes Haus mit regem Gesellschaftsleben zu führen. Mit einem Party-Planer behalten sie Übersicht über ihre Feste, die sie zu besonderen Anlässen in Luxushotels, meist aber in ihren liebevoll eingerichteten Wohnsitzen feiern. Ihren Putzfimmel hat Pauline aber daheim wie auch außer Haus nie in den Griff bekommen.
Zu Anfang lebt das Ehepaar relativ bescheiden – in München und auf Sommerfrische bei Richards Schwiegereltern in Marquartstein.
 

Großes Haus mit unerbittlicher Haushaltsführung

Mit dem Umzug nach Berlin kann die Generalstochter Pauline endlich "das große Haus" führen und intensive gesellschaftliche Kontakte pflegen und tut dies mit Freuden auch in der Metropole Wien. Man besucht Musiker, Intellektuelle, Dichter, Offiziere, Diplomaten oder wird von ihnen besucht.
 
Den Haushalt überwacht Frau Strauss penibel und unerbittlich, worunter zahlreiche Köchinnen zu leiden haben. 1912 tritt Anna Glossner in ihre Dienste, die bis zu ihrem Tode 1944 die Haushalte fürsorglich begleitet, ihr ist die von der Familie Strauss als Familienmitglied betrachtete Anni Nitzl gefolgt.

 
Ein Party-Planer schafft Übersicht

Im Berliner Hotel Adlon, im Münchner Hotel Vier Jahreszeiten und im Wiener Imperial gibt das Ehepaar Strauss zu besonderen Anlässen Feste für Freunde. In der Regel aber wird zu Hause empfangen. In einem Party-Planer werden Besuche mitsamt den gereichten Speisen notiert – nur so lässt sich verhindern, denselben Personen womöglich zwei Mal dasselbe zu servieren!
 
Gäste werden gerne gesehen, aber von Pauline nicht immer respektvoll behandelt. Manch einer ist schockiert von ihren Temperamentsausbrüchen, ihrem Sauberkeitswahn – oder eigenwillig durchgesetzten modischen Vorstellungen: einmal schneidet die Hausherrin mit dem befriedigten Kommentar "So is‘ besser" kurzerhand die Hutkrempe einer geladenen Dame ab …
Das Ehepaar Strauss liebt großzügige Einladungen.

Putzfimmel nicht nur zu Hause

Pauline führt in Garmisch nicht nur ein eisernes, sondern bisweilen auch ein eisiges Regiment: "Manchmal kann ich mich kaum in meinem Zimmer halten, so zieht‘s", beklagt Richard die Leidenschaft seiner Gattin fürs Lüften.
 
Auch Paulines Putzfimmel ist legendär, und sie gibt ihm nicht nur in den eigenen vier Wänden nach: Auch in anderer Leute Wohnungen "kontrolliert sie gern, ob ordentlich Staub gewischt war, streifte mit dem Finger über Möbel, zog Schubladen auf, sah unter Betten oder musterte die Hände der Dienstboten" (Kurt Wilhelm). Mit Bezug auf die gestochen saubere Handschrift des Komponisten meint Pauline einmal zu Gästen: "Jaja, seine Partituren und meine Hauswirtschaft …“
 
Mit Liebe und großem finanziellen Aufwand gestalten Richard und Pauline ihre Wohnsitze: Ob böhmische Gläser, ausgefallene Möbel oder Antiquitäten, alles wird gemeinsam ausgesucht – und gemeinsam genossen.
Eine Fülle von Werken als Nachlass für die Welt

Kultur und Wissen

Nicht nur der Musik, sondern auch der Sprach- und Dichtkunst gilt Strauss’ Leidenschaft, was sich auch in seinen sinfonischen Tondichtungen ausdrückt. Die Klassiker und die Geschichte beschäftigen ihn sein Leben lang, und auch die zeitgenössischen Dichter liest er mit Interesse. In der barbarischen Nazi-Zeit bietet die Literatur dem Komponisten eine Flucht aus der Realität.
Richard Strauss ist ein "Bildungsbürger", zu einer Zeit, als diesem Begriff noch nichts Negatives anhaftet. Er hat "seinen Goethe" gelesen und liest ihn in reifen Jahren in Garmisch nochmals – alle Werke Johann Wolfgang von Goethes, wohlgemerkt, außer der Farbenlehre, die er nicht schätzt.
 

Schon als Schüler „reifes Verständnis“ für die Klassiker

Seine Begabung, Interesse und rasche Auffassungsgabe wird 1882 im Abgangszeugnis des Münchner Ludwigs-Gymnasiums erwähnt: "Trotzdem dass er sich in hervorragender Weise mit Musik befasste, hat er doch auch in den sprachlichen Fächern mit großem Fleiß gute Erfolge erzielt und reifes Verständnis bei Erklärung der Klassiker gezeigt. Rühmenswert sind auch seine Kenntnisse in Geschichte."
 
Den Klassikern und der Geschichte gehören auch in reifen Jahren sein Interesse und seine Zuwendung. Er studiert die Werke des Historiker Leopold von Ranke und, befasst sich mit dem Christentum, dem er distanziert und kritisch gegenübersteht, liest Arthur Schopenhauer.
 

Hohe Bildungansprüche an sich und die Familie

Seine Kompositionen zeugen von literarischer Bildung: Die sinfonischen Dichtungen basieren z. T. aufNikolaus Lenau, William Shakespeare, Friedrich Nietzsche und Miguel de Cervantes, seine Vokalkompositionen auf Gedichten von Friedrich Schiller,Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Rückert, Ludwig Uhland, Joseph von Eichendorff, Herrmann Hesse, Christian Morgenstern und Johann Gottfried von Herder, aber auch von heute weniger bekannten Zeitgenossen. Seinen Operndichtern ist Strauss (sofern er, wie im Falle von "Guntram", "Salome" und "Intermezzo" die Textbücher nicht selbst verfasst oder einrichtet) ein anspruchsvoller und kundiger Widerpart.
Klassische Literatur beschäftigt Richard ein Leben lang.

Der Enkel Richard erinnert sich an die hohen Bildungsansprüche, die der Großvater anlegte und denen die männlichen Nachkommen kaum genügen können: "Zu einem kultivierten Europäer, so meinte Großpapa, gehören Latein und Griechisch, sonst ist er kein vollwertiger Mensch, man hat die Philosophen zu lesen, auf dem Nachttisch hat Goethe zu liegen, Herder, Wieland, Homer und Sophokles in der Ursprache, lernen, sich bilden, konzentrieren, nicht zerstreuen …"

 
„Der griechische Germane“

Die grausame Realität des Zweiten Weltkrieges kann und will Strauss nicht mehr wahrhaben – das Lesen bietet Trost. An den österreichischen Dirigenten Clemens Krauss schreibt er Ende 1944: "Ich selbst trottle auch einem unheilbaren Greisenalter entgegen, vertrödle meine Zeit von Plutarch bis Ranke, von Shakespeare bis Nestroy, lese immer wieder die ungelesensten Wagnerschen Schriften …"
 
Als "der griechische Germane" hat sich Richard Strauss in späten Jahren bezeichnet. Die klassische Bildung ergänzte ein Selbstbewusstsein als Deutscher, das der hautnah miterlebten Barbarei der Hitlerzeit denkbar ferne stand.