Lieder

Richard Strauss hat der Welt eine Fülle von Liedern hinterlassen – Lieder für große Solisten und solche für große Chöre. Besonders bekannt sind seine „Vier letzten Lieder“, die jedoch keineswegs seine letzten waren.

Vier Lieder

Diese Liedgruppe ist zu Recht als eines der schönsten Hochzeitsgeschenke aller Zeiten bezeichnet worden. Richard Strauss widmet sie "Meiner geliebten Pauline zum 10. September 1894 als Morgengabe".
Die turbulente Uraufführung der Erstlingsoper "Guntram" liegt hinter ihm, eine nicht minder turbulente Ehe vor ihm, und "als Morgengabe" bringt Richard Strauss vier seiner kostbarsten Lieder ein: "Ruhe, meine Seele" (der Text stammt von dem Radikalsozialisten Karl Henckell, von dem Strauss noch zwölf weitere Gedichte vertonte), "Cäcilie" (nach Heinrich Hart) sowie "Heimliche Aufforderung" und "Morgen", beide auf Texte des aus Schottland stammenden Lyrikers John Henry Mackay.
 

"Morgen" – und übermorgen …

Das letztgenannte ist eines der berühmtesten Lieder nicht nur von Richard Strauss, sondern der Literatur überhaupt. Singstimme und Klavier- bzw. Orchesterpart sind hier aufs delikateste ineinander verwoben, wobei die aufblühende Melodie in letzterem der Solovioline anvertraut ist.
 
Es ist faszinierend, wie sich die Lieder in der Rückschau als Keimzellen zu den späteren musikdramatischen Großwerken erweisen. So scheint die Nr. 2 auf "Arabella", die Nr. 3 auf die ungestüme "Salome" hinzuweisen, während "Morgen" bereits den abgeklärten Ton der letzten Schöpfungen von Richard Strauss erahnen lässt.
 

Orchesterfassungen

Die 1897 entstandenen Orchesterfassungen des zweiten und vierten Liedes hat die Widmungsträgerin Pauline Strauss unter der musikalischen Leitung des Komponisten selbst gesungen: im Rahmen der Brüsseler "Concerts populaires", und zwar sieben Monate nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Franz.
 
Das erste Lied, "Ruhe, meine Seele", instrumentiert Richard Strauss ein halbes Jahrhundert später in Montreux, mitten in der Arbeit an seinen "Vier letzten Liedern". Es wird vermutet, dass Strauss beabsichtigte, "Ruhe, meine Seele" als fünftes Stück dieser Gruppe anzufügen, was aber unterblieb. (Die Orchestrierung des dritten Liedes geht nicht auf den Komponisten zurück, sondern stammt von Robert Heger.

Vier letzte Lieder

Zwar sind sie weder seine "letzten" – das Lied "Malven" ist erst danach entstanden –, noch sind sie als Werkgruppe geplant gewesen, doch gelten die "Vier letzten Lieder" als homogenes Vermächtnis des großen Vokalkomponisten.
"Ist dies etwa der Tod?" – die Lektüre von Joseph von Eichendorffs Gedicht "Im Abendrot" gibt den Anstoß zur ersten Vertonung. Die Frage des alten Paares, das "wandermüde" auf sein Leben zurückblickt, spiegelt die Stimmung wider, die sich Richards und Paulines im Schweizer Exil bemächtigt hat: "… ist dies etwa der Tod?" Strauss bejaht: Er lässt an dieser Stelle das Verklärungsthema aus seiner sinfonischen Dichtung "Tod und Verklärung" anklingen.
 

"Die bestellten Lieder"

Sohn Franz berichtet dem Strauss-Biographen Kurt Wilhelm: "1948 waren wir in Montreux zu Besuch. Ich habe gesehen, wie er sich quält, und habe ihm zugeredet: Papa, lass‘ das Briefeschreiben und das Grübeln, schreib‘ lieber ein paar schöne Lieder. Er hat nicht geantwortet. Beim nächsten Besuch nach ein paar Monaten kam er in unser Zimmer, legte Partituren auf den Tisch und sagte zu Alice: ‚Da sind die Lieder, die dein Mann bestellt hat.‘"
 
Obwohl schon 1947 skizziert, bildet "Im Abendrot" traditionell den Abschluss der Vortragsordnung, in die der Verleger, von dem auch der Gesamttitel stammt, die Lieder gebracht hat. Die drei Hesse-Vertonungen "Frühling", "September" und "Beim Schlafengehen" sind vorangestellt.
 

Ein majestätisches Abschiednehmen

Hermann Hesse ist überrascht, als der Komponist, dem er in einem Schweizer Hotel zufällig begegnet, ihm die Vertonung einiger seiner Gedichte ankündigt. Hesse respektiert den "schönen alten Herren", ist ihm und seiner Musik jedoch nicht zugetan. Die "Letzten Lieder" seien "virtuos, raffiniert, voll handwerklicher Schönheit, aber ohne Zentrum, nur Selbstzweck". Allerdings gesteht der Dichter ein, die Werke nur "im Radio gehört" zu haben, möglicherweise die Übertragung der Uraufführung am 22. Mai 1950, bei der Kirsten Flagstad unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler singt.
 
Ein großes, majestätisches Abschiednehmen klingt durch diese Lieder, in denen Strauss nochmals der von ihm geliebten Sopranstimme weitausschwingende Melodielinien anvertraut.