„Lohengrin ist süßliches Geschleife“, „die Hornstimmen in den Meistersingern sind Klarinettenstimmen“ – Vater Franz Joseph Strauss, erster Hornist im Münchner Hoforchester, lässt keine Gelegenheit aus, über die Musik Richard Wagners kräftig herzuziehen. Sein künstlerisches Credo ist allein der „Trinität Mozart (über allen), Haydn und Beethoven“ vorbehalten. Selbst am Tag nach dem Tod Richard Wagners verweigert er als einziger im Orchester, sich zum Gedenken vom Platz zu erheben.
Richard Strauss zu Besuch in Wagners Bayreuther Villa „Wahnfried“ 1933
Umso mehr überrascht, wie schnell Richard Strauss den geerbten Wagner-Hass ablegt. Aussagen wie folgende - nach einer „Siegfried“-Aufführung getätigt - gehören bald der Vergangenheit an: „Die Einleitung ist ein langer Paukenwirbel mit Bombardon und Fagotten, die in den tiefsten Tönen brüllen, was so dumm klingt, daß ich gerade hinaus gelacht habe... von zusammengehörigen Melodien keine Spur ... wieder das 1. Gebrumm, ich sage eine Unordnung ist da drin.“
Als Abitur-Belohnung nach Bayreuth
Strauss saugt das „Gift“, wie es sein Vater zu nennen pflegt, gierig auf, zuerst versteckt, um keinen Familienskandal heraufzubeschwören, dann mit offener Begeisterung insbesondere für den "Tristan", der „prachtvollsten Belcanto-Oper“ (so Strauss 1886 nach einer Probe in Bologna).
Zur Belohnung für das gut bestandene Abitur musste ihn Vater Strauss bereits 1882 schweren Herzens nach Bayreuth zu „Parsifal“ mitnehmen. Als er dabei Meister Wagner selbst begegnet, wagt er es freilich nicht, ihn anzusprechen. Eine vergebene Chance.
Von Richard I. zu Richard III.
Wie sehr Strauss im Banne Wagners steht, ist bereits in frühen Kompositionen zu hören. Die Annäherung an Bayreuth folgt dennoch auf Umwegen: Hans von Bülow, Liszt-Schüler und der erste Gatte von Cosima Wagner, vermittelt Strauss als Musikdirektor nach Meiningen. Der später von Mentor Bülow getätigte Ausspruch „Richard I. ist Wagner, einen Richard II. gibt es nicht, also ist Strauss Richard III.“ wird rasch zum legendärem Zitat.
Inspiration durch Franz Liszt
Die Beschäftigung mit Wagner wird noch verstärkt, als Strauss 1885 in Meiningen die Bekanntschaft mit Alexander Ritter macht. Der erste Geiger in Meiningen, mit der Nichte Richard Wagners verheiratet, kommt aus dem Lager der sogenannten „Neudeutschen“ um Wagner und Liszt.
Er versorgt Strauss mit Schriften Wagners wie Schopenhauers und widerlegt letzte Vorurteile, die Strauss auch gegen Liszt hegte: „Neue Gedanken müssen sich neue Formen suchen – dieses Lisztsche Grundprinzip seiner sinfonischen Werke, in denen tatsächlich die poetische Idee auch zugleich das formbildende Element war, wurde mir von da ab der Leitfaden für meine eigenen sinfonischen Arbeiten...“
Die Freundschaft mit Ritter führt – Opernfreunde danken – darüber hinaus zu Strauss‘ erster Betätigung auf dem Gebiet des Musiktheaters: „Guntram“, eine mittelalterliche Rittergeschichte nach eigener Dichtung.
„Ein Hektoliter Bier” fürs Kurorchester in Bayreuth
Von den Wagner-Enthusiasten im Freundeskreis – Alexander Ritter, Hans von Bülow – empfohlen, erhält Strauss 1889, noch vor Antritt seiner Weimarer Tätigkeit, eine Stelle als Musikalischer Assistent in Bayreuth. Strauss korrepetiert „Parsifal“, beteiligt sich am Gesellschaftsleben und lernt die Bayreuther Atmosphäre zu schätzen: „Ich möchte dem Kurorchester gern einen Hektoliter Bier schicken, was kostet das? Und möchtest Du, lieber Papa, es nicht besorgen? Onkel Georg könnte eigentlich ein Fässchen spendieren oder es zur Hälfte des Preises ablassen.“
Bereits kurz darauf dirigiert Strauss seine erste Wagner-Oper, sein Versprechen Wagner-Witwe Cosima gegenüber, als Weimars Zweiter Kapellmeister für Wagner und Liszt einzutreten, führt zu einem regen gegenseitigen Austausch: „Es ist schön von Ihnen, es so ernst zu nehmen und gerade zu dieser Zeit, wo die großen Theater die Schmach unserer Kunst bezeichnen, ist es rührend und erfreulich zu gewahren, wie an kleineren Bühnen der Geist, der uns Deutsche groß gemacht hat, heilig gehalten wird.“ So Cosima.
Strauss wächst Cosima Wagner ans Herz
Eine Bekanntschaft, die sich rasch zur regen Freundschaft vertieft: Weihnachten 1890 ist Strauss bei der Familie Wagner geladen, scherzhaft verkündet Cosima, dass sie ihre Tochter Eva als Ehefrau für Strauss vorgesehen habe. Einen Sohn und Schwiegersohn im Dienste Bayreuths zu haben, wäre ihr wohl gelegen gewesen, doch Strauss hatte sich bereits in die – auch in Bayreuth geschätzte - Sängerin, Pauline de Ahna verliebt.
Cosima nimmt es gelassen, Eva wie auch die älteste Tochter aus der Ehe mit Bülow, Daniela von Bülow-Thode, werden zu langjährigen Freundinnen fürs Leben, Siegfried Wagner profitiert vom älteren Komponisten-Kollegen. „Wie keiner in unserer Kunst fest und sicher“ nennt Cosima ihr „Sträusschen“, den „lieben Ausdruck“, wie Richard auch liebevoll genannt wurde. Selbst mit Vater Franz erfolgt die Aussöhnung. 1891 trifft man beide Arm in Arm spazierend an.
Bruch mit Cosima Wagner über „Salome”
Unzählige Briefe werden getaucht, als Richard 1894 endlich die Dirigate der Bayreuther „Tannhäuser“-Aufführungen übertragen werden, geht ein langer Wunsch in Erfüllung. Pauline de Ahna, die Anfang September Strauss‘ Frau wird, singt wieder die Elisabeth.
Als Strauss freilich seine Dirigier- und Besetzungswünsche in Bayreuth wieder ignoriert sah, wechselt der Tonfall seiner mit Cosima ausgetauschten Briefe. Nicht zuletzt das Unverständnis der Familie Wagner seine „Salome“ betreffend (Zitate über das „Judenmädchen“ Salome zeigen klar den antisemitischen Geist), führt zum deutlichen Bruch mit Cosima Wagner. Eine Rückkehr folgt erst spät, nach 39 Jahren Pause.
Lebenslange Wagner-Liebe
Ist es Zufall, dass sich Strauss – ähnlich „Wahnfried“ in Bayreuth – eine prachtvolle Villa im Garmischer Gebirge bauen ließ, 1920 in Salzburg seine „eigenen“ Festspiele mitbegründete? Wenn Strauss auch Bayreuth im Jahr 1895 den Rücken kehrte, Wagner spielt das ganze Leben über weiter eine zentrale Rolle – abzulesen nicht zuletzt an den Bildern in der Komponierwerkstatt, für die sich sogar der knapp zweieinhalbjährige Sohn Franz begeistern konnte: „Bubi (...) sieht mir beim Schreiben zu und erklärt mir dabei unaufhörlich die Bilder an der Wand: Wagner, Beek-hoffen, Liszt, Bilow.“
Als Strauss die Leitung der Wiener Oper übernimmt, stehen neben Verdi- vor allem Wagner-Opern an der Spitze der Aufführungsliste, und: Noch im Jahr 1927 schreibt Strauss an seinen Textdichter Hugo von Hofmannsthal: „Ich hörte unlängst die „Meistersinger“, ein unerhörtes Werk. Seitdem verlässt mich der Wunsch nicht, auch noch ein Werk dieser Art zu schreiben – leider natürlich nur in gehörigem Abstand. Aber immerhin so ein richtiges deutsches Werk, ein gutes Theaterstück, zugleich ein echtes deutsches Kulturdokument.“
Strauss hilft Bayreuth „aus der Patsche”
Gut sechs Jahre später, 1933, als Strauss bereits auf seinen 70-er zugeht, kommt es überraschend zu einer weiteren Zusammenarbeit mit Bayreuth. Eine Zusammenarbeit, die das Ausland freilich verübelte, die Presse polemisieren ließ:Toscanini hatte aus Prostet gegen Antisemitismus und Diktatur – auch gekränkt durch die weite Ablehnung seines tempomäßig breit angelegten „Parsifals“ durch die Musik-Kritik – seinen Abschied aus Bayreuth verkündet. Die Festspiele schienen gefährdet, doch Strauss ist – ohne Honorar – spontan bereit einzuspringen und damit der neuen Herrin in Bayreuth – Winifred Wagner – aus der Patsche zu helfen.
Gruppenfoto mit Richard Strauss in Bayreuth 1933
„Wie’n bayrischer Oberförster, der’n Bock g’schossen hat”
Den „Parsifal“ hatte er zuvor nur als Bayreuther Korrepetitor kennen gelernt, niemals als Dirigent. Strauss versucht, Wagner von pathetischer Überlast zu befreien, dessen Intention folgend, Würde und Weihe nicht durch verschlepptes Tempo zu erreichen.
Als der norwegische Bassist Ivar Andresen die Erzählung des Gurnemanz („Titurel, der fromme Held...“) sehr episch-breit anlegt, wird er von Strauss mit Händeklatschen und der Bemerkung ermuntert: „Warum singen’S denn dös gar so heilig? Dös müssen’S erzähl’n wie’n bayrischer Oberförster, der ‘n Bock g’schossen hat.“
„So treu bewährter Helfer”
So soll er gegenüber seinen Vorgängern den Parsifal um 45 Minuten Spieldauer gestrafft haben, in voller Anerkennung der Wagner-Familie: Winifred Wagner und der von ihr eingesetzte künstlerische Leiter der Festspiele Heinz Tietjen gratulieren am 4. Juni 1934 Strauss zum 70. Geburtstag: „Wir möchten dem Manne, dem Bayreuth in kritischen Tagen der Festspiele 33 und 34 durch den Einsatz der Einmaligkeit seiner Persönlichkeit und Künstlerschaft zu unendlichem Danke verpflichtet ist, zu dem Ehrentage seines 70. Geburtstages in treustem und dankbarstem Gedanken auf das Wärmste die Hand drücken.“ Sie fügen hinzu: „Nehmen Sie bitte auf diesem Wege unser treustes Gedenken entgegen, das wir mit dem stolzen Gefühl Ihnen darbringen, dass Sie auf dem Festspielhügel am Werke des anderen Richard unser so treu bewährter Helfer sind.“