Strauss und die Familie

Halt im Schoss der Familie

Nach einer Kindheit im Spannungsverhältnis zwischen dem jähzornigen Vater und der gütigen Mutter findet Richard Strauss in der Ehe mit Pauline sein Lebensglück. Sohn Franz und die Enkel samt Familie unterstützen den Komponisten nicht nur privat, sondern auch beruflich.
 
Der Hornist Franz Joseph Strauss (1822 – 1905) ist bereits 42 Jahre alt, als ihm seine zweite Frau (die erste wird von der Cholera hinweggerafft) den Knaben Richard schenkt. "Er war ein sogenannter Charakter" – diese Worte stehen am Anfang von Richard Strauss‘ "Erinnerungen an meinen Vater".
 

Autoritärer Vater, übersensible Mutter

In die große Dankbarkeit des Sohnes für die Ausbildung und Förderung, die ihm der Vater hat angedeihen lassen, mischt sich auch leise Kritik an seinem autoritären Auftreten. "Durch eine schwere Jugend war mein Vater im Charakter verbittert worden. […] Zu Hause war er heftig, jähzornig, tyrannisch, und es bedurfte der ganzen Milde und Güte meiner zarten Mutter, um das Verhältnis meiner Eltern, trotzdem es stets von aufrichtiger Liebe und Wertschätzung getragen war, in ungetrübter Harmonie verlaufen zu lassen."
 
Die spätere Nervenkrankheit der sensiblen Mutter Josepha, geborene Pschorr (1838 – 1910), wird von der patriarchalischen Familiensituation zumindest begünstigt: "Wie weit allerdings die sehr empfindlichen Nerven meiner Mutter darunter wirklich gelitten haben, kann ich heute nicht mehr entscheiden." Von beiden Elternteilen sind günstige Charaktereigenschaften auf den Knaben übergegangen: Musikalität, Sparsamkeit und Bodenständigkeit von seinem Vater, von der Mutter Sensibilität und "poetische Veranlagung“.
 
Die Mutter hilft bei der Textniederschrift zu ersten Kompositionsversuchen, der Vater bezieht Richard in die Kammermusik mit ein und führt erste Werke des 13-jährigen mit seinem Orchesterverein "Wilde Gung'l" auf.
 
Dank seinem Vater – ab einem bestimmten Punkt gegen seinen Vater – entwickelt sich Richard Strauss sehr rasch zum hervorragenden, eigenständigen Musiker. Doch obwohl Franz die Orientierung seines Sohnes an Richard Wagner und Franz Liszt nicht schätzt, bleibt er ihm ein unermüdlicher Ratgeber.

 
Eltern als unermüdliche Ratgeber

Zahllose Briefe an die und von den Eltern zeugen von einer engen Beziehung, in der nahezu jedes Detail besprochen wurde: Die Reiseeindrücke des Heranwachsenden, die Pflege seiner Gesundheit, sein Anfangs ausladender Dirigierstil, von dem ihm der Vater abrät, und das kühn ausbrechende Komponistentalent, das der Senior stets im Geiste der Wiener Klassik zu bändigen versucht. Die vom Sohne mit "Salome" angefachte "Opernrevolution" erlebt der sieben Monate vor der Uraufführung verstorbene Franz Joseph Strauss freilich nicht mehr.
 
Nicht zuletzt rät der Vater zu freundlicher Diplomatie gegenüber Pauline de Ahna: "Frl. de Ahna scheint eine etwas exaltierte Dame zu sein und einer solchen kann ein gebildeter Mann schon etwas nachsehen, ohne dass er sich etwas vergibt …" Auch Mutter Strauss ist optimistisch, als sich Richard und Pauline fürs Leben verbinden, "da sie dich durch ihr heiteres, kluges Wesen stets aufheitern wird und so liebevoll für dich zu sorgen weiß".
 

Lebensliebe Pauline

In seiner Kunst ein "Bürgerschreck", strebt der knapp 30-jährige Richard Strauss doch nach einem bürgerlichen Privatleben. Die Gattin, die er hierfür ausersieht, garantiert, dass der Alltag in geregelten, keineswegs aber ruhigen Bahnen verläuft. Die Generalstochter Pauline de Ahna, geboren am 4. Februar 1863 in Ingolstadt (sie macht sich aus Karrieregründen um elf Jahre jünger) ist nicht nur eine vielversprechende Sängerin, sondern auch ein Temperamentsbündel.
 
Als der aufstrebende Kapellmeister Strauss ihr 1894, mitten in der turbulenten Probenarbeit zu "Guntram", einen Heiratsantrag macht, ist sich die junge Frau bewusst, was sie aufgeben müsste und warnt ihn: "Sie wissen selbst am besten, wie viele Fehler ich habe, … Ihre Eltern und Hanna kennen ja auch meine Launen; ach gut, und nun soll ich plötzlich ein wahres Muster von Hausfrau werden …" Eine vollendete Hausfrau wird sie, ihre Launen legt Pauline jedoch keineswegs ab. Am 10. September 1894 wird geheiratet, die Hochzeitsreise führt das Paar nach Venedig.
Richard mit seiner Schwiegertochter Alice und seinem Enkel Christian 1932 in Garmisch

Geburt von „Bubi“ 1897

Am 12. April 1897 wird der Sohn geboren. Die Geburt verläuft für die Mutter lebensgefährlich, Richard Strauss, auf Konzertreise in Stuttgart, erfährt vom glücklichen Ausgang per Telegramm. Der "Riesenknabe" erhält die Namen Franz (nach dem Großvater) Alexander (nach dem verstorbenen Freund Ritter), wird aber zeitlebens "Bubi" gerufen.
 
1906 trennt sich Pauline Strauss, weltweit als Liedsängerin gefeiert, von dem Künstlerberuf, der sie ja immerhin mit ihrem Mann verbindet – es mutet wie bittere Ironie an, wenn Richard Strauss schreibt: "Schade, dass sie sich zu früh dem schönen Beruf einer vorbildlich ausgezeichneten Hausfrau und Mutter zugewandt hat!" Die Familie, "Bauxerl" und "Bubi", ist fortan unverzichtbarer Halt im arbeitsreichen Leben des Dirigenten und Komponisten.

Pauline und Richard mit ihrem Sohn Franz in Marquartstein

Pauline als künstlerisches Vorbild

Die Anekdoten über Paulines spitze Zunge, ihre Temperamentsausbrüche und Extravaganzen sind Legion. Alma Mahler etwa schildert (nicht ganz glaubwürdig) in ihren Lebenserinnerungen das "Rasen" der anderen Komponistengattin und Strauss' Kommentar dazu: "Mei' Frau ist oft arg ruppig, aber wissen S' , i brauch des."
 
Mindestens ebenso aufmerksam wie auf Tratsch von Zeitgenossen sollte man aber auf die Werke hören, die Richard Strauss seinem Familienleben gewidmet hat: "Ein Heldenleben" setzt der "Gefährtin" ein strahlendes Denkmal, die "Sinfonia domestica" beschreibt Alltagssorgen, Familienkrach und sinnliche Versöhnung im Hause Strauss, die Oper "Intermezzo" ist inspiriert durch eine Episode unbegründeter Eifersucht Paulines. Die zahlreichen Lieder, die Strauss der Stimme seiner Frau zudenkt, müssen erwähnt werden, und auch die Gestalt der Färberin in "Die Frau ohne Schatten" hat Hofmannsthal nach der energiegeladenen Komponistengattin modelliert.

 
Pauline überlebt Richard nur wenige Monate

Tief und liebevoll ist Pauline ihrem Richard und seiner Kunst ergeben. Am 12. September 1949 geleitet sie ihn zur letzten Ruhe auf dem Münchener Ostfriedhof. Das "Rosenkavalier"-Terzett wird gesungen, "am Höhepunkt strecken sich ihre Arme ekstatisch vom Körper weg, ihre Hände verkrampfen sich und greifen wild in die Luft, als wollten sie etwas Entschwindendes mit beschwörender Kraft zurückhalten" (Alois Melichar). Pauline stirbt nur wenige Monate später, am 13. Mai 1950.
 

Franz: Treuer Sohn der Eltern

Franz Strauss, Jahrgang 1897, ist als Einzelkind besonders an den Eltern orientiert, was durch seine Krankheitsanfälligkeit in den ersten Jahren nur noch verstärkt wird. Der Strauss-Biograph Kurt Wilhelm, der Franz persönlich kannte, charakterisiert ihn so: "Er war ein ruhiger, gelassener, gutmütiger Mensch, sensibel und verletzlich, von intuitiver Menschenkenntnis, der gewiss aus seinem Leben mehr gemacht hätte, wäre nicht die beherrschende Liebe seiner Eltern stärker als sein Wille gewesen.“
 
So folgt "Bubi" dem Vater auf Reisen, hilft bei der Abwicklung von Verträgen und verzichtet schweren Herzens auf ein Medizinstudium. Stattdessen studiert er Jus und dissertiert über die Genossenschaft deutscher Tonsetzer, die dem Vater stets ein Herzensanliegen geblieben ist. Der 18-Jährige meldet sich 1915 freiwillig zum Militärdienst, wird aber – zur großen Erleichterung seiner Eltern – wegen seines labilen Gesundheitszustandes abgewiesen.
 

Hochzeit mit der jüdischen Industriellentochter Alice

1923 verlobt sich Franz Strauss mit Alice von Grab-Hermannswörth. Die Familien Strauss und Grab hatten einander 1907 bei einer "Salome"-Aufführung in Prag kennengelernt, wo der jüdische Großindustrielle Emanuel von Grab Webereien besitzt. Im Januar 1924 wird in Wien Hochzeit gehalten. Richard Strauss komponiert das "Hochzeitspräludium" für zwei Harmonieinstrumente, in dem er Motive aus der "Domestica", "Guntram" und „Rosenkavalier" verwendet.
 
Mit der bescheidenen, aber hochintelligenten und tüchtigen Schwiegertochter Alice wächst dem "Familienbetrieb" nicht nur ein geliebter Mensch, sondern auch eine wertvolle Arbeitskraft zu. Sie macht sich in kürzester Zeit als Sekretärin für Richard Strauss unentbehrlich. Ihr Schwiegervater sagt einmal zu ihr: "Gelt, Alicerl, wir zwei sind die einzigen in dem Haus, die was arbeiten." In der schweren Kriegszeit kann sie sich besonders bewähren. Sie rettet das Archiv und zahlreiche Wertgegenstände von drohender Beschlagnahme oder Zerstörung von Wien nach Garmisch – sie pflegt den unschätzbaren Nachlass auch nach dem Ableben des Meisters bis zu ihrem eigenen Tode (1991).

Drei Generationen Strauss: Großvater Franz-Joseph, Sohn Richard und Enkel Franz

Sorge um die Enkel in der Nazi-Zeit

1927 wird Franz und Alice in Wien, wo die Familie die Villa in der Jaquingasse bezogen hat, ihr erster Sohn geboren: Richard (Max Emanuel Hermann). 1932 folgt der zweite Komponistenenkel: (Franz Adolf) Christian.
 
In der Nazizeit schützt Richard Strauss die "jüdisch-versippte" Familie seines Sohnes mit allen gebotenen Mitteln, ermöglicht den Enkeln den Schulbesuch in Wien. Die Bildung der Enkel zu fördern, ist ihm ein besonderes Anliegen. Als "wertvolle Weihnachtsgeschenke" fertigt er für die Buben gegen Ende des Krieges Abschriften einiger seiner Partituren an.
 

Auch das Archiv bleibt in der Familie

Während der jüngere Enkel, Christian, die Arztkarriere einschlägt, widmet sich der ausgebildete Opernregisseur Richard der Pflege und Verwaltung des Werkes, das sein Großvater hinterlassen hat. In zweiter Ehe ist er mit der Tochter Hans Hotters, Gabriele, verheiratet. Sie bringt nicht nur "genetisch" Kenntnis und Liebe zur Musik von Richard Strauss ein, sondern macht sich als ausgebildete Bibliothekarin um Aufarbeitung und Publikation der Archivbestände verdient.